Reflexionen zu einer Installation
von Tanja Goetzmann


Betritt man Tanja Goetzmanns architektonisches Ensemble, so fühlt man sich in eine Kulisse integriert, die einer grauen Geisterstadt ähnelt; Gotham vielleicht. Mit dieser Möblierung eines Innenraums mit einem Außenraum schafft sie eine paradoxe und für den Rezipienten durchaus interaktive Situation: das Modell bzw. das Bild wird begehbar. Damit bezieht sich Tanja Goetzmann sicherlich auf die Erfahrung, die sie als Szenografin gesammelt hat und begreift die Betrachter als Akteure. Die Anregung für diese Arbeit, deren Grundformen nicht, wie man annehmen möchte, aus dem dahingehend stereotypisierten Manhattan stammen, sondern aus dem nahen Frankfurt. Von den Draufsichten der Dächer inspiriert, entwickelte Tanja Goetzmann schließlich reduzierte Abstraktionen von Bauwerken - deren Uniformität augenfällig und durch den grauen Anstrich noch verstärkt wird. Die Wolkenkratzer verkörpern die Idee des Hochhauses an sich, sind wie Tanja Goetzmann selbst sagt, „aus der Erinnerung gebaute Phänotypen“, die realen Bezug nur vorspiegeln. Sie verwendet formale Verweise z.B. auf Rasterstrukturen, die durch den Minimalismus eines Sol Lewitt eingeführt wurden, für die Architektur der Moderne jedoch durch Einflüsse von Bauhaus und von Internationalem Stil fast zwingend sind. Tanja Goetzmann spielt mit urbanen Archetypen auf der Schwelle von Architektur und Bildkunst; auch indem sie eine Stadtsituation simuliert, die zwar an ein architektonisches Modell erinnert, sich jedoch deutlich als Skulptur ausweist, nicht zuletzt ihres Maßstabes wegen. Als wache Beobachterin von künstlerischen und sozialen Kontexten schließt Tanja Goetzmann mit ihrer flexiblen Rauminstallation an den Diskurs um Urbanität an, der in den 90er Jahren begann und in asiatischen Metropolen in das Blickfeld künstlerischer Anstrengung rückte. Ebenfalls eng mit Tanja Goetzmanns Konzeption verbunden sind jene Fragestellungen um öffentliche Räume, die Künstlern theoretisch wie praktische stadtgestalterische Kompetenzen einräumen. Tanja Goetzmann bietet den Passanten in ihren Häuserschluchten gleichsam eine Nahsicht und gleichzeitig einen distanzierten Blick auf Phänomene, die bei realem Aufenthalt im entsprechenden Stadtraum selten geschehen. Sie initiiert eine Art Bildübertragung für Lebensraum im weitesten Sinne und sensibilisiert für den Verlust des menschlichen Maßes, indem sie genau dieses wieder einführt, schließlich sind die höchsten Häuser fast menschengroß. Dieses Spiel mit Maßstäblichkeit macht auch ihre Überlegungen zum quasi-klassischen Skulpturbegriff deutlich. Mit dem Angebot eines Baukastensystems werden existierende Vorstellungen von Stadt verworfen und auch deren statischer Charakter in Frage gestellt. Die Videodokumentation des Aufbaus kann als Bestandteil der Konzeption gelten und stellt eine wichtige Entscheidung dar: Mit der Selbstbeobachtung von schräg oben wird nicht allein eine passende Vogelschau auf die „Stadt“ simuliert, sondern es werden die (aktionistischen) Überlegungen bei der Aufstellung des Bildes von innen her, aus seinen Elementen transparent. Die diversen formalen Implikationen, die Veränderbarkeit der Komposition in immer neuen Ausstellungssituationen werden filmisch verdeutlicht. Gleichzeitig evoziert das Riesenspielzeug auf symbolischer Ebene die Fragilität von ehrgeizig Hochgebautem und schließt damit unaufdringlich an jene aktuelle Debatte an, die sich um die Vergleichbarkeit der Zerstörungen des 11. September 2001 entwickelt hat.


Susanne Altmann