Liebe Tanja, Deine Fotogramme wurden explizit für die Ausstellung „Das große Reinemachen“ realisiert. Wie kamst Du auf das Thema?

Ich habe 2012 mit einer Fotoserie begonnen, die um das Thema „Selbstgemachtes“ kreist.

Selbstentworfenes, Selbstausgedachtes und vor allem Selbstausgeführtes von sogenannten Laien. Alle diese Dinge und Gegenstände haben einen ausgeprägten handwerklichen Aspekt/ Charakter, weswegen es mir schlüssig erschien analog in schwarz/weiß zu fotografieren und die Abzüge selbst im Fotolabor zu machen. Obwohl ich zu der Generation gehöre, die mit analoger Fotografie aufgewachsen ist und die Abläufe im Labor kennt, habe ich einen wesentlichen Unterschied zwischen dem digitalen und dem analogen Herstellungsprozess vergessen, nämlich die notwendig penible Vermeidung von Staub.

Staub auf dem Negativ, Staub auf dem Vergrößerer, Staub auf dem Papier...

Falls Staub auf eine der Oberflächen fällt, und dies meistens bis zur Trocknung/ Fertigstellung des Abzuges mehr oder weniger verborgen bleibt, ist der Abzug nicht brauchbar. Zwischen den einzelnen Schritten: Belichten, Entwickeln, Wässern, Trocknen liegt mitunter viel Zeit.

Staub und Zeit spielen in der digitalen Ortslosigkeit keine oder eine komplett andere Rolle. Durch die Begegnung mit dieser vergessenen Problematik erhielt Staub für mich fast ein beachtens- und schützenswertes Potential.

Nach weiteren Überlegungen wie man diese natürliche Feindschaft: die Fotografie und den Staub in Verbindung bringen könnte, war das Fotogramm als alte analoge Technik die logische Konsequenz.

Für mich war einerseits entscheidend, den Staub nicht abzubilden, wie es die Fotografie tut, sondern ihn direkt als Material einzusetzen und andererseits das charakteristische Prinzip des Zufalls, des Unkontrollierbaren von Staub beizubehalten.



Was sind Staub-Fotogramme? Wie muss ich mir die Arbeit im Labor vorstellen?

Bei einem Fotogramm, auch lensless photographie genannt, besteht kein Negativ als Ausgangsmaterial der Vervielfältigung, sondern es gibt nur das lichtempfindliche Fotopapier, das „Motiv/Material“, was direkt auf dem Papier arrangiert wird und Licht. Es gibt keine Kamera.

Das heißt man arbeitet sozusagen mit einem 1:1 Abdruck, mit dem Schatten eines Materials. Trotzdem ist es ein fotografisches Bild, was eine merkwürdige Nähe zu dem Objekt hat, entrückt und entmaterialisiert ist und gleichzeitig sehr scharf und irritierend präzise.

Im Fall der Staubfotogramme gab es von Freunden die mich im Atelier besuchten tendenziell den Impuls, den Staub auf dem Papier weg zu pusten oder zu wischen. Man kann diese Form der Abbildung nicht sofort als Abbild erkennen, weil es das im eigentlichen Sinne auch nicht ist. Es ist eine Art Vertretung des Motivs, nicht das Motiv selbst, was man sieht.



Was für Staub hast du verwendet? Und wie verhält sich „gewollter“ Staub in der Dunkelkammer?

Ich habe verschiedene Varianten getestet, beispielsweise habe ich Glasplatten als Staubfänger an verschiedenen Orten ausgelegt. Parallel habe ich Staub aus unterschiedlichen Höhen in Wohnungen gesammelt. Die unterschiedlichen Höhen deshalb, da in den oberen Raumschichten feinerer Staub zu finden ist, als logischerweise auf dem Fußboden. Die Partikel sind andere. Gesammelter Staub verhält sich unterschiedlich je nach Konsistenz. Der feine Staub verdichtet sich durch den Vorgang des Abnehmens von der Oberfläche, weswegen man ihn für das Verteilen auf dem Fotopapier wieder mühsam „auftrennen“ muss. Der grobe Staub hat durch seine Heterogenität eine offenere Oberfläche und lässt sich dadurch leichter Handhaben. Gewollter oder ungewollter Staub verhält sich in der Dunkelkammer wahrscheinlich insofern ähnlich als dass man mit einer „unsichtbaren“ Anwesenheit arbeitet.

Bis das Licht kurz auf das Papier fällt, kann man nur der räumlichen Vorstellungskraft und dem Experiment vertrauen. Man muss blind arbeiten.

Bei den meisten Fotogrammen habe ich eine Mehrfachbelichtung angewendet und dabei immer wieder Staubschichten aufgestreut, um eine leichte Tiefe zu erzeugen.



Wie ging es nach der Arbeit in der Dunkelkammer weiter?

Auf die analoge Arbeit folgte die digitale. Um die Kleinteiligkeit der Staubabbildung zu zeigen, war es notwendig den Maßstab zu verändern und mit einer Vergrößerung zu arbeiten, einer Art Lupenfunktion.

Staub ist etwas womit wir täglich zu tun haben, sowohl als „Produzent“ von Staub ( Haare, Partikel von Kleidung ect.) als auch als mit seiner „Entfernung“. Viele Menschen haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Staub. Durch die Vergrößerung kann sich das Material als solches zeigen und seinen ästhetischen, komplexen, inhaltlichen Raum entfalten.



Der Titel „Instant Karma“ hat verschiedene Bedeutungsebenen. Rein sprachlich kann er sowohl deutsch als auch englisch gelesen werden. Wie kamst du dazu?

Der Titel begegnete mir zufällig und diese doppelte Bedeutung ist mir sehr willkommen.

Es werden damit verschiedene Felder geöffnet, die sowohl etwas mit der Technik des Fotogramms zu tun haben können, als auch mit der Bedeutung von Staub im persönlichen als auch im kulturellen Kontext.



Tanja Goetzmann im Interview mit Carmen Beckenbach